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2. Brief - Einfach kontemplativ Leben 

Gesegnet der Mensch, der Weisheit erlangt, und der Mensch, der Einsicht gewinnt!     Sprüche 3.13

 

Was sind die Grundlagen

und was verstehe ich

unter kontemplativem Leben?


Liebe Leserinnen und Leser,

Kontemplativ Leben beschreibt eine Sehnsucht nach einem Lebensstil, der einfach, verantwortungsvoll und spirituell ist. Er verbindet Zeiten des Innehaltens, Zeiten der Reflexion und Zeiten des Engagements zu einer Einheit. Er ermöglicht eine persönliche Haltung und Entwicklung, die umfassend, also ganzheitlich ist. Körper, Seele, Verstand und Spiritualität verbinden sich zu einem Ganzen. So kann jeder Mensch das eigene Potenzial entwickeln und die persönlichen Grenzen kennen lernen und weiß sich verbunden mit anderen Menschen und allen anderen Geschöpfen..

Ich versuche nun - auch für mich selbst - kontemplatives Leben zu beschreiben, zu reflektieren und dabei mein eigenes Leben unter diesem Gesichtspunkt wahrzunehmen.

Was gehört nach meiner Ansicht unabdingbar zu einem kontemplativen Leben?

Ø  Miteinander leben – Gemeinschaft

Ø  Füreinander leben  – Verantwortung für das Miteinander und besonders für die Schöpfung mit meinen Möglichkeiten und Grenzen übernehmen

Ø  Spirituell leben – einen geistlichen Übungsweg praktizieren und um die eigene(!) Endlichkeit wissen

Ø  Reflektiert leben – sich geistig auseinandersetzen mit den Grundlagen des Miteinanders, der Verantwortung (ethische Konsequenz) und der Spiritualität

Ø  Wertschätzend leben – Wertschätzung beginnt bei mir selbst. Wer sich liebt, kann andere lieben. Wer andere liebt und respektiert, erlebt mehr Frieden und Zufriedenheit.

Dies klingt anspruchsvoll und dies ist gar nicht mal schlecht. Aber es ist nicht ein Anspruch, den es zu erfüllen gilt, sondern es entspricht mehr einem Weg, den ich als Mensch durchwandere und mir zu Eigen mache. Da wird es leichte Abschnitte geben, anstrengende Wege und Wege, die dem Menschen einfach zu fallen, so wie manche Wege sind, die sanft ins Tal führen. All dies gehört zusammen.

Ich möchte die 5 Themenbereiche noch etwas ausführlicher darstellen.

Zuvor ist mir ein Wort aus der Frage wichtig: unabdingbar. Dieses Wort ist mir wertvoll geworden, weil es beschreibt, was für mich und wahrscheinlich auch für andere - ohne wenn und aber - dazu gehört. Ich könnte auch sagen: Diese fünf Bereiche gehören unbedingt zum kontemplativen Leben. Oder noch anders gesagt: Diese Aspekte gehen mein Leben unbedingt an - sie gehören zu (m)einem kontemplativen Leben ohne Abstriche dazu.

Gleichzeitig heißt dies auf keinen Fall, dass ich diese Themenbereiche umfassend oder vollständig leben kann. Ich kann sie immer nur teilweise leben, besser gesagt fragmentarisch leben. Vollkommenheit ist nicht erstrebenswert. Perfektion fördert das Leben nicht,  sondern zerstört es eher. Leben ist eine liebevolle Annäherung an die eigenen Möglichkeiten und an die eigene Verantwortung.

Miteinander leben

Gerade in dieser Zeit der Pandemie erlebe ich, wie Gemeinschaft zum Leben dazugehört. Lookdowns, die das Miteinander einschränken, zeigen auf, was wir ein Miteinander benötigen. Ich habe in dieser Zeit der Pandemie durchaus die Zeit genossen, die ich für mich selbst hatte. Aber ich habe auch schmerzhaft gespürt, dass dies nicht alles ist. Allein sein tut nicht immer gut. Und auch der Einsiedler, war und ist in fast allen religiösen Gemeinschaften, in ein größeres Ganzes eingebettet. Aber das Miteinander ist  nicht immer einfach, doch davon später mehr. Ich selbst  habe 10 Jahre in einer geistlichen Gemeinschaft gelebt, die Balance zwischen Geben und Nehmen ist eine ständige Übung und das Miteinander in einem größeren Kreis hat mich manchmal an meine Grenzen gebracht.

Füreinander leben 

Miteinander leben bedeutet nicht unbedingt, dass wir Menschen füreinander leben. Geschweige denn, dass wir für andere Geschöpfe, die Schöpfung und Umwelt Verantwortung übernehmen. Zu einem kontemplativen Leben gehört das Engagement, gehört die Sorge und Fürsorge für die Schöpfung. Als zum ersten Mal Umweltbewusstsein und Schöpfung in meinen Horizont traten, geschah dies im Rahmen der Friedensbewegung und des so genannten konziliaren Prozesses mit den Stichworten „Gerechtigkeit, Frieden, und Bewahrung der Schöpfung“. Das Stichwort für die Lösung einiger dieser Fragen war damals Einfachheit. Einfaches Leben sollte bescheidenes Leben sein, weniger ist mehr sowohl was Kleidung, Güter und Lebensstil betrifft. Wir dachten noch an einfache Öfen mit Holz geheizt, von CO2 Ausstoß war wenig die Rede. Diese Einstellungen und Sichtweise haben sich verändert. Fotovoltaik und Batteriespeicher, Regenwasserverbrauchsanlagen, Elektroautos und Warmwasserheizung auf dem Dach sind nur einige Beispiele in der hochkomplizierte Technik die Umwelt bewahrt. Und trotzdem: die Einfachheit ist notwendig, besonders was unsere eigenen Ansprüche betrifft in Bezug auf Nahrung, Kleidung und Ressourcen. Wie kann aus einer Wegwerfgesellschaft eine Wiederverwertungsgesellschaft werden?

Füreinander leben heißt auch global Leben. In derselben Zeit als ich Ende der siebziger Jahre die Verantwortung füreinander verstärkt wahrnahm, entstanden die Eine Welt Läden, Engagement gegen die Apartheid und die Atombewaffnung, die selbstverwalteten Jugendzentren, Kreativ- und Kunstprojekte aller Art. Es verstärkte sich globales Lernen und Leben. Verantwortung wurde globaler, aber Verantwortung wurde auch hilfloser, wenn sie global gedacht wurde. Ohne in Nostalgie zu verfallen, es war eine Zeit in der Spiritualität, Engagement und Miteinander erstaunlich selbstverständlich und zusammengehörig waren.

Spirituell leben

Spirituell leben heißt für mich das Leben um eine Dimension zu erweitern, die umfassender ist als ich es (als Mensch) bin. Für mich drücke ich es so aus: Ich bin- mit allem Leid und Schmerz, genauso wie mit Freude und Dankbarkeit - in der ewigen Gegenwart Gottes in jedem Augenblick geborgen. Für mich ist dies eine spirituelle, geistliche Dimension, die in der christlichen Tradition sich in Jesus Christus verdeutlicht. Geistliches Leben heißt auch, dass ich aus und mit der Kraft und Energie Gottes lebe, die wir Heiliger Geist nennen.

Um aus dieser Kraft und Energie Gottes leben zu können, ist es sehr hilfreich und notwendig einen geistlichen Übungsweg zu praktizieren, zum Beispiel Meditation oder Exerzitien. Geistliches Leben ohne Praxis und Stille ist für mich unvorstellbar, nur Aktivität überfordert und raubt uns letztlich die notwendige Kraft und Energie.

Die christliche Tradition beschreibt geistliches Leben, als ein Leben in Gerechtigkeit, Frieden, Vertrauen, Dankbarkeit und Freude, deren Basis die Liebe ist. Dieses Leben ist von der Erfahrung geprägt, dass es dabei nicht allein auf meine Möglichkeiten und Kräfte, Leistungen und Ansprüche ankommt.

Deshalb ist das Wissen, um die eigene Endlichkeit nicht Belastung, sondern Befreiung für das Leben im Augenblick.

Reflektiert leben

Sich geistig auseinandersetzen mit den Grundlagen des Miteinanders, der Verantwortung und der Spiritualität gehört zu einem kontemplativen Leben.

„Nehme wahr was dich umgibt, durchdringe es mit deinen Möglichkeiten, schule deinen Geist, deine Sinne und dein Tun und befrage dich, die Gesellschaft. Informiere dich über das Wesentliche. Erweitere immer neu deinen Horizont.“

Deshalb möchte ich gerne mehr verstehen von der Hirnforschung, der Quantenphysik, den Therapiemöglichkeiten, der Gesundheitsfürsorge, dem Älterwerden,…

Nichts ist so wie es scheint und ich persönlich habe gelernt, bei allem was mir als fragwürdig vorkommt, zu fragen: Was ist die Motivation? Wem nützt es? Wohin führt es? Mit diesen Fragen konnte ich manches klären.

Wertschätzend leben

Ich habe das echte Mit- und Füreinander in diesem Brief  in den Vordergrund gestellt. Wertschätzend leben beginnt aber bei mir selbst. Wer sich liebt, kann andere lieben. Wer andere liebt und respektiert, erlebt mehr Frieden und Zufriedenheit. Wir haben ich sagen gelernt, vielleicht zu laut, zu ausschließlich und zu vordergründig. Aber es war wichtig zu sagen: ich bin wertvoll. Es bedarf aber der Balance. Wer ich sagt, sagt auch du und wir. Denn das „ich“ braucht das du und das wir. Was war zuerst? Nichts war zuerst – es gehört zusammen und die drei sind eins. Dies wird in einem kontemplativen Lebensstil erfahrbar.